Samstag, 14. August 2021
4.44 Uhr
Seltsame Zeit, um aufzuwachen. Oder auch wieder nicht, denn unter der Woche wäre ich bereits spät dran.
Die Notizen, die ich mir für den Samstagsplausch gemacht habe, erhalten die letzten Schliff.
Später, als ich nicht mehr so große Skrupel habe, die Nachbarn zu wecken, schalte ich die Waschfee ein. Die Wäsche will ich noch raushängen, bevor ich zum Ausflug starte.
10.30 Uhr
Ich hole die Mutti ab und starte mit ihr in die Richtung, in die ich auch unter der Woche jeden Morgen fahre.
In Doberschütz biegen wir von meiner üblichen Route ab auf eine kleine hügelige Straße, auf der ich schon an manchem Feierabend gefahren bin. Immer sah die Umgebung malerisch aus, aber immer war ich in Eile und hielt nicht zum Fotografieren an. Diesmal hätte ich Zeit anzuhalten, aber unter dem wolkenlos blauen Himmel am Vormittag verlockt die Landschaft gar nicht so zu Fotos.
Ich fahre langsam, weil ich einen Abzweig suche und kündige der Mutti bereits an, wahrscheinlich wenden zu müssen, als ich den Abzweig doch noch entdecke.
Sie liest die Ortschaften auf dem Schild und meint: Nach Hoburg wollten wir auch mal noch.
Und genau da wollen wir hin.
In den Hoburger Bergen. Wir finden die alte Rodelbahn. Dort waren meine Eltern mit mir, als ich klein war. Das ist mindestens 50 Jahre her. Die Mutti freut sich sehr, dass sie trotzdem noch Verschiedenes wiedererkennt. Manches ändert sich eben nicht.
Sonnenflecken auf dem Waldboden tun uns gut, und wir lassen Springkraut springen und freuen uns daran wie Kinder.
Die Mutti meldet an, etwas Kleines essen zu wollen, aber in Hoburg finden wir keine geöffnete Gaststätte. Dafür aber wenige Kilometer weiter einen See.
13.00 Uhr
Wir kommen in Wurzen an und entdecken am Markt ein Italienisches Restaurant und dort im Außenbereich einen Tisch für zwei Personen. Das passt perfekt. Reichlich unperfekt ist das Personal. Besser ausgedrückt, es ist total überfordert und ignoriert uns völlig. Nicht einmal der Tisch wurde abgewischt. Da klebte noch die Tomatensoße vom vorherigen Gast. Nachdem wir gefühlte Ewigkeiten darauf gewartet haben, dass man uns wenigstens eine Karte bringt, überlegen wir, was wir zu trinken bestellen wollen und ich starte schräg über den Markt zur Drogerie, in der Hoffnung, dort zu bekommen, was ich am Anfang unserer Tour im Heimatort vergeblich in den Regalen gesucht hatte.
Als ich zurückkomme, sitzt die Mutti noch immer ohne Speisekarte und ohne Getränk am schmutzigen Tisch. Wir beschließen zu gehen, da tönt es vom Nachbartisch: Sie sind aber ungeduldig! Sie sind wohl mit Hunger hergekommen?
Das bringt mich auf die Palme: Wir haben keinen Hunger, aber selbst wenn, wäre uns der inzwischen vergangen, nachdem wir über eine Viertelstunde überhaupt nicht beachtet wurden.
Die Mutti merkt leise an, dass wir weit mehr als eine Viertelstunde gewartet haben. Und tatsächlich, es ist inzwischen…
13.40 Uhr
Als ich versuche, durch unzählige Einbahnstraßen einen Weg aus Wurzen hinaus zu finden, entdecken wir ein nettes kleines Asiarestaurant, wo uns ein reichhaltiges Buffet empfängt und eine sehr rührige Bedienung. So kommen wir spät doch noch zu einem feinen Mittagessen.
Als wir danach wieder im Auto sitzen, fragt die Mutti: Fahren wir noch bisschen in den Wald?
Dazu müssen wir uns wieder in Richtung Eilenburg bewegen, weil ich auf der Strecke zwischen Wurzen und daheim keinen Wald weiß. {Gerade eben, während ich dies schreibe, fällt mir natürlich doch ein Wald ein.} Im Hinterkopf habe ich einen See, den mir der Jürschn und dat Anki neulich gezeigt haben. Nur weiß ich nicht, ob ich den wiederfinde. Deshalb halte ich in Eilenburg am See an. Auf dem Weg durch einen Waldstreifen zum See schwächelt die Mutti plötzlich und möchte umkehren. Wieder im Auto frage ich sie, ob wir den anderen See suchen wollen oder ob sie lieber nach Hause möchte.
Ach, wenn ich hier sitze, halte ich das noch ein Weilchen aus.
Also los zum Stausee Dahlenberg. Da liegt der Parkplatz direkt am See im Teletubby-Land.
Mutti: Hier würde ich jetzt gern einen Kaffee trinken.
Mira: Ich auch, aber der See ist nicht bewirtschaftet.
Ein paar Schritte weiter scheint ein knallroter Imbisswagen mich Lügen zu strafen. An die 40 junge Menschen hopsen um den Wagen herum, lachen, scherzen, trinken Bier…
Noch ein paar Schritte weiter steht ein Schild:
Privat
Aber wer lieb fragt…
Bier 0.5 – 3 €
Ich bitte die Mutti, sich auf eine schattige Bank zu setzen und gehe los, um "lieb zu fragen".
Einer der jungen Männer wendet sich mir zu.
Ist privat hier, oder?
Ein langer, bedauernder Blick: Hmhmhm
Habt ihr vielleicht trotzdem einen Kaffee für uns?
Kaffee? Oh! Er hält den Handrücken an eine halbvolle Glaskanne und stellt fest: Eiskalt! Na setzt euch mal hin.
Dann verschwindet er mit der Kanne irgendwo am Waldrand und kommt mit klarem Wasser zurück.
Die Mutti flüstert: Er wird doch nicht das ganze Wasser in die Maschine kippen?
Tut er aber doch und ich flüstere zurück: Egal, wie der Kaffee schmeckt, wir trinken den aus und freuen uns! Denn gefreut hatten wir uns schon allein über die Geste, extra für uns Kaffee zu kochen.
Und dann kredenzt der junge Mann uns einen ganz vorzüglichen Kaffee, hat auch noch Milch dazu und will das Geld, das ich ihm in die Hand drücken will, unter keinen Umständen annehmen.
Wir genießen den Kaffee, beobachten die jungen Männer dabei, einige Bäume zu erklimmen, ich lasse mir gern noch einen weiteren Becher Kaffee einschenken, denn der schmeckt wirklich richtig gut. Wir bedanken uns noch einmal, verabschieden uns und schlendern noch ein Stück den Staudamm entlang.
Die Mutti wird den gesamten Heimweg lang nicht damit fertig, sich über unser Kaffeetrinken zu freuen. Und tatsächlich ist es diese Begebenheit, die dem gesamten Ausflug ein Krönchen aufsetzt.
Diese unkomplizierte Freundlichkeit, die uns die jungen Menschen entgegenbrachten, war etwas Besonderes. Leider selten geworden in unserer Zeit. Umso mehr freut man sich darüber. Auch mir tat diese Begegnung richtig gut. Auch wenn ich ähnliches eine Woche zuvor auf dem Festival erlebt hatte, dort lag der allgemein freundliche, fast liebevolle Umgang miteinander schon in der Natur des Festivals. Hier aber war das alles noch beeindruckender, weil völlig unerwartet.
Nachdem ich die Mutti abgesetzt hatte und selbst daheim angekommen war, schaute ich zufällig auf den Schrittzähler und konnte es kaum glauben. 11.332 Schritte. Ich habe mal überschlagen, wie viele Schritte ich für den Trockenplatz und die beiden Gänge zu den Drogerien gebraucht hatte und kam zu dem Schluss, dass die Kleine Frau zwischen 8.000 und 9.000 Schritte mitgelaufen ist. Respekt! Und kein Wunder, dass sie zwischendurch mal schwächelte. Im Gegenteil, ein Wunder, wie sie das überhaupt durchgehalten hat.
Da denke ich mir doch gern den nächsten Ausflug aus.