…nein, ich verstehe es einfach nicht. Da lädt sie mich ein, weil sie mit mir reden will, weil sie sich nach eigener Aussage nicht ganz richtig verhalten hat. Und seht mal, wie liebevoll sie den Tisch gedeckt hat. 

Da denkt man doch, sie wollte vielleicht Missverständnisse ausräumen oder Missstimmungen. Auch die Unterhaltung plätscherte zu Anfang ganz locker dahin. Sie erzählte lustige Begebenheiten vom Einkaufen und auf mich wirkte das alles, als sollte das darauf hinaus laufen, dass wir uns doch immer noch gut verstehen. Sie forderte mich auch mehrmals auf zuzugreifen, aber ich war ziemlich aufgeregt und bat, doch erst dieses Gespräch zu führen. Ich dachte, wenn wir dabei die Missstimmung ausräumen würden, könnten wir doch dann viel entspannter das feine Essen genießen.
Aber so kam es nicht.
Sie begann damit: Naja, wir haben uns beide verändert.
Hm, ich finde ja, dass ich mich nicht verändert habe. Ich bin immer noch die gleiche Chaotin, die ich schon immer war und daran hat sich im letzten Jahr nichts geändert. Glaube ich zumindest. Was natürlich bedeuten kann, wenn sie sich verändert hat, dass sie genau dieses chaotische Wesen, das sie früher mochte, nun nicht mehr ertragen kann.
Dann meinte sie, ich sei ziemlich beleidigend gewesen, damals, als ich mich dagegen wehrte, versetzt und verletzt zu werden. Gerade, während ich dies tippe kommt mir der Gedanke, dass sie vielleicht meine Bezeichnung "Person" als Beleidigung empfunden hat, dabei habe ich das nur geschrieben, weil ich sie schützen und deshalb ihren Klarnamen nicht nennen wollte. Hach, vielleicht hätte ich das erklären sollen. Aber in dem Moment fiel mir das gar nicht ein. Ich sagte nur, dass ich eben nicht beleidigend war und dass wir gern den Chatverlauf aufrufen könnten und dass ich ihr darin sogar noch eine Brücke gebaut hatte. Da kam von ihr in einem Ton, den ich als schnippisch empfand: Ja, hast du, aber ich bin nicht drüber gekommen.
Ich begann, zu hinterfragen, was sie mir denn damit nun sagen wolle. Ob sie mich nicht mehr in ihrem Leben haben wollte. Ich fragte noch einiges und fühlte mich immer elender. Wie so ein Mädchen, das von ihrem Freund verlassen wird und einfach nicht wahrhaben will, dass Schluss ist. Aber genau das sagte sie wörtlich: Es ist Schluss. Sie sagte auch noch andere Sachen. Es ging darum, ob sie noch mit mir ans Meer fahren würde. Immer wenn wir dort waren, sagte sie mir, wie schön die Zeit war. Ich dachte immer, ich tue ihr was Gutes, wenn ich sie mitnehme. Und heute meinte sie: Wenn ich mit dahin fahre, dann will ich doch mit dir… Dann brach sie ab. Und dann kam: Doch, ich fahre schon nochmal mit dir ans Meer. Ich habe doch noch Sachen dort!
Na, die kann ich ihr auch mitbringen. Da muss sie nicht extra mit einer Person, die sie nicht mehr in ihrem Leben haben will, solch eine Reise auf sich nehmen.
Dann meinte sie, sie hätte beim Aufräumen noch Sachen von mir gefunden, ob ich die mir ansehen wolle. Ja, wollte ich. Sie brachte sie an, ich nahm sie natürlich mit. Ich sagte, das fühle sich an, wie bei einer Scheidung, du hast noch Dinge von mir, ich hab noch Dinge von dir.
Sie sagte nur: Tja.
Zwischendurch sah sie ein paar mal so aus, als würde sie gleich weinen. Aber wenn ich sie ansah, war das immer gleich wieder weg und ich dachte, sie ist vielleicht ganz froh, dass diese Freundschaft mit mir nun endlich ausgestanden sei.
Einmal sagte sie: Eine Sache mache ich noch, weil ich denke, dass du dich darüber freust. Ich räume mit dir die Lagerbox.
Ich hab das abgelehnt, mit der Begründung, ich wolle sie nicht ausnutzen. Und überhaupt, diese Formulierung Eine Sache mache ich noch… Das klingt doch genauso nach Abschied wie dieser Satz von den Sachen, die sie noch an der See hat. Jetzt frage ich mich allerdings, warum sie etwas tun wollte, worüber ich mich freue, wenn sie mich doch gar nicht mehr mag. Ich frage mich auch, warum sie nochmal Tee aufgesetzt hat, nachdem sie mir die Beutel mit meinem Kram in die Hand gedrückt hatte. Dachte sie, ich setze mich wieder hin und lasse mir seelenruhig weiter weh tun? Oder war ihr gar nicht klar, dass mir das weh tut? Mir haben die 38 Jahre, in denen wir beste Freundinnen waren, viel bedeutet. Auch wenn ich ihr in den letzten Jahren wahrscheinlich immer weniger bedeutet habe. Ich wollte das nur einfach nicht wahrhaben.
Ach, dann meinte sie noch: Wir können uns doch noch schreiben. Das habe ich auch rundheraus abgelehnt. Sagte, das sei genauso, als wenn sich ein Paar trennt und derjenige, der geht zu dem, der heulend zurückbleibt, sagt, sie könnten ja Freunde bleiben. Das funktioniert nicht. Weil der, der zurückbleibt oder in unserem Falle aus dem Leben des anderen hinausgekickt wird, immer wieder neu enttäuscht und erniedrigt wird. Nee, das funktioniert nicht. Eine solche Textzeile gibt es ausgerechnet in dem KEIMZEIT-Song Valentinstagsblumen und der wiederum hat für sie und mich eine ganz besondere Bedeutung. Ist aber lange her. Sehr lange. Damals hat unsere Freundschaft ihr auch noch was bedeutet.
Warum hat sie den Tisch so schön gedeckt? Warum war sie den Tränen nah? Hatte sie sich den Abend ganz anders vorgestellt? Hatte sie vielleicht doch vor, die Missstimmung beizulegen? Aber wenn, warum hat sie es dann kaputt gemacht? Warum hat sie mich abserviert mit solchen Sätzen wie einmal fahre ich noch mit ans Meer… oder eine Sache mache ich noch…
Ich verstehe es nicht!